August 20, 2024 Circle by Javier

Was ist „Net-Zero“ – und was wird das kosten?

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Reminder: Was ist Net-Zero? Stark vereinfacht bezieht sich „Net-Zero“  auf das Gleichgewicht zwischen der Menge an produzierten Treibhausgasen (THG) und der Menge, die der Atmosphäre wieder entzogen werden. „Net-Zero“ ist grob gesagt dann erreicht, wenn der Betrag an THG, den die Menschheit hinzufügt, gleich oder niedriger ist als der Betrag,…

Reminder: Was ist Net-Zero?

Stark vereinfacht bezieht sich „Net-Zero“  auf das Gleichgewicht zwischen der Menge an produzierten Treibhausgasen (THG) und der Menge, die der Atmosphäre wieder entzogen werden. „Net-Zero“ ist grob gesagt dann erreicht, wenn der Betrag an THG, den die Menschheit hinzufügt, gleich oder niedriger ist als der Betrag, der weggenommen wird. Das ist wichtig, weil das – vereinfacht gesagt – der Zustand ist, in dem die globale Erwärmung angehalten wird. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass die vom Menschen verursachten globalen Emissionen an THG bis 2030 halbiert werden und 2050 “Net-Zero” erreichen müssen, um die katastrophalsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. Die Erwärmung ist in etwa proportional zu den kumulativen CO2-Emissionen, was bedeutet, dass sich die Erdatmosphäre so lange erwärmen wird, wie die globalen Nettoemissionen größer Null sind.

Wie viel wird die Net-zero Transition kosten?

Eine aktuelle McKinsey Analyse ergibt, dass für die oben beschriebene Transformation (d.h. THG bis 2030 halbiert; bis  2050 “Net-Zero”) kumulierte Ausgaben in Höhe von 275 Billionen US-Dollar für physische Assets  erforderlich sein könnten. Das entspricht bis 2050 durchschnittlich 9,2 Billionen US-Dollar (9.200.000.000.000 USD)  pro Jahr. Basierend auf dem „Net Zero 2050“-Szenario, wie es vom Network for Greening the Financial System (NGFS) definiert wurde, zeigt die McK-Analyse, dass sich Politik, Technologien und Verbraucher sowie Anlegerpräferenzen deutlich verändern werden und zu wesentlichen Verschiebungen bei der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen führen werden. Beispielsweise werden die Öl- und Gasfördermengen im Jahr 2050 um 55 bis 70 Prozent niedriger sein als heute. Die Kohleproduktion für die Energienutzung müsste bis 2050 komplett enden. Weiteres Beispiel ist die erwartete Änderung der Nachfrage nach Produkten, die fossile Brennstoffe verwenden. Die Nachfrage nach Autos mit Verbrennungsmotor würde irgendwann weitgehend zum Erliegen kommen, da der Absatz von Elektroautos von heute 5 Prozent der Neuwagenverkäufe auf fast 100 Prozent bis 2050 steigen wird.

Diese Nachfrageverschiebungen würden außerdem Verschiebungen bei Investitionen im Zusammenhang mit Neuanschaffungen und Ersatz bestehender Anlagen auslösen. Einige vorhandene physische Assets werden stillgelegt oder umgewandelt, während andere neue Assets  gebaut oder erworben werden müssen. Dies erfordert 1. eine deutliche Erhöhung des Gesamtausgabenniveaus im Vergleich zu heute und 2. eine Verlagerung von Investitionen von emissionsstarken zu emissionsarmen Anlagen. Beide Trends beschränken sich nicht auf Energieanlagen/-investitionen, sondern erfordern auch Investitionen z.B. in der Landnutzung (wie Land- und Forstwirtschaft) und anderen Bereiche. Im Ergebnis liegen die McKinsey-Schätzungen damit über anderen Schätzungen der Vergangenheit.

Wo und wann fallen diese Übergangskosten an?

275 Billionen USD (kumulierte Ausgaben) klingen nach einer relativ großen Zahl: 275.000.000.000.000 USD. Und entspricht einem jährlichen Durchschnittswert von 9,2 Billionen US-Dollar. Was ungefähr 10 % des globalen BIP (2020) entspricht. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten viele dieser Ausgaben “vor die Klammer” gezogen werden, sodass die Notwendigkeit, 10 % des globalen BIP bereits in den nächsten Jahren in den Klimawandel zu investieren, ziemlich realistisch ist. Die zusätzlichen Ausgaben (von jährlich 9,2 Billionen USD) würden sich auf etwa 3,5 Billionen USD oder etwa 4 % des globalen BIP (2020) belaufen. Dies würde alle Sektoren und Zeiträume bis 2050 betreffen – aber nicht gleichmäßig: 

  • Auf 3 Sektoren, nämlich Mobilität, Energie und Gebäude, würden in diesem Szenario etwa 75% der Investitionen entfallen. 
  • Im Zeitverlauf wäre der größte Anstieg bereits 2026 und 2030 zu verzeichnen.

Diese Ausgabenverlagerung wird das Nachfrageverhalten, die Kapitalallokation, die Kosten und die Arbeitsplätze beeinflussen. Produkte mit hohen Emissionen werden eine schrumpfende Nachfrage erfahren, während Produkte mit niedrigen Emissionen Wachstumschancen repräsentieren. In bestimmten Branchen, wie der Stahl- und Zementindustrie,  könnten die Produktionskosten gegenüber dem derzeitigen Niveau um ca 30 % – 45 % steigen. Im Energiesektor würden die globalen durchschnittlichen Stromkosten bis 2040 um ca. 25 % steigen, bevor sie deutlich fallen würden. Andere Sektoren könnten dagegen in Summe Kostensenkungen verzeichnen. Die McKinsey-Analyse legt nahe, dass die Gesamtbetriebskosten für Elektroautos bis 2025 in den meisten Regionen – und in einigen Regionen sogar schon früher – niedriger sein könnten als für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Ähnliche Kostenänderungen wirken sich auf andere Verbraucherpreise aus; Verbraucher – insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen – werden in naher Zukunft mit steigenden Preisen und Investitionskosten konfrontiert sein und ihr Ausgabeverhalten anpassen. Darüber hinaus könnte der Übergang zu einer Umverteilung von Arbeitskräften führen, wobei bis 2050 etwa 200 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze geschaffen und 185 Millionen verloren werden.

Der oben beschriebene Übergangsprozess wird wahrscheinlich auch zum sog. „Asset Stranding“ führen, bei dem vorhandene physische Assets  entweder nicht ausgelastet oder vor dem Ende ihrer Nutzungsdauer stillgelegt werden. Dies impliziert erhebliche Änderungen in der Finanzierung und das Erfordernis für neue Quellen und Kooperationen von öffentlichem und privatem Kapital in technologiespezifischen Finanzierungsmodellen. Darüber hinaus sind  viele potenziell “Stranded Assets” in den Bilanzen (u.a. börsennotierter) Unternehmen aktiviert, wie z. B. Energieersorgungsunternehmen (EVU) mit einer von Kohle und Gas dominierten Kraftwerksflotte. Der Abgang solcher Assets  könnte zur Minderung des (Buch-)Wertes von EVU und zu Insolvenzen und Kreditausfällen führen. Die Aktienmärkte können über diese Werte “abstimmen”, lange bevor das eigentliche “Asset Stranding” stattgefunden hat, was die Werte von kohlenstoffexponierten Akteuren, insbesondere EVU, nach unten treiben wird.

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